In Zeiten der digitalen Akkuratesse scheinen Überraschung und Willkür zu Relikten vergangener Tage avanciert zu sein. Meetings werden via Online-Verwaltung auf die Minute genau terminiert, Amazon-Bestellungen erhalten wir innerhalb weniger Stunden per Same-Day-Versand und während wir auf die Lieferung warten, können wir die Spedition per Online-Tracking verfolgen.
Was nun auch unseren Alltag erobert hat, ist in der Fernkommunikation längst Normalität. E-Mails werden mit einem passenden Betreff versehen, erreichen in Sekundenschnelle ihren Empfänger und ermöglichen eine ebenso zügige und direkte Antwort – selbst wenn viele tausend Kilometer zwischen den Schreibenden liegen. Und schon wird das Ende der E-Mail durch die noch flotteren Messenger-Services wie WhatsApp und Co beschworen.
Doch auch unser analoges Postsystem verlässt sich nicht auf Zufälle, funktioniert weitestgehend fehlerfrei und stellt Briefe nicht nur unbeschadet,
sondern auch pünktlich zu.
In der eben beschriebenen Welt wirkt so etwas Zielloses und Träumerisches wie eine Flaschenpost nahezu absurd. Nicht nur dass diese Form der Kommunikation ausgesprochen langsam ist.
Sie hat zudem keinen festen Empfänger, ist vergleichsweise aufwendig und kann jederzeit zerbrechen. Wer also darauf aus ist, dass die gesendete Botschaft den Empfänger tatsächlich erreicht, wird sicherlich auf andere Mitteilungswege zurückgreifen.
Möglicherweise geht es beim Kommunikationsmittel Flaschenpost aber gar nicht um die gezielte Ansprache eines Empfängers, sondern vielmehr darum, einen individuellen Schatz in die Welt zu entlassen. Vielleicht geht es aber auch darum, eine unserer Eigenschaften wiederauferstehen zu lassen, die mit dem Erwachsenwerden oftmals schwindet: den kindlich-naiven Abenteurergeist.
Der Trend lässt sich in beinahe allen Sparten beobachten. So sorgt die fortschreitende Digitalisierung zwar für die schnelle und ständige Verfügbarkeit großer Datenmengen, dadurch aber auch für Austauschbarkeit und oftmals sogar Belanglosigkeit. Dadurch ergibt sich vor allem eine Regel: Je austauschbarer der Mainstream, desto größer das Bedürfnis nach Individualität und Abenteuer.
Es muss ja nicht gleich eine Flaschenpost sein. Vielleicht genügt schon ein Reisetagebuch, in dem wir Urlaubsimpressionen festhalten können.
Möglicherweise nutzen wir aber auch einen klassischen Papierkalender, der unsere Lebenszeit greifbar werden lässt - und mit dessen Hilfe wir jeden Tag neue Erlebnisse planen können.
Autor: Richard Kastner
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