Technologischer Fortschritt ist schon etwas Tolles. Wenn man mit den Neuerungen umzugehen weiß, dann nehmen Smartphones uns viele lästige Aufgaben ab, Computer erleichtern unseren Arbeitsalltag drastisch, ja, selbst Fernseher können für uns einen höheren Nutzen haben, wenn wir uns die “richtigen” Formate anschauen.
Wenn technologische Innovationen aber ein Ersatz für den menschlichen Körper werden und Dinge nicht nur erleichtern, sondern vollständig vereinnahmen, ist höchste Vorsicht geboten.
Vor allem dann, wenn es um so wichtige Dinge geht wie unsere kognitive Entwicklung, das Erlernen dringend notwendiger Fähigkeiten oder den Motor unserer Fantasie.
Es gibt einen unverzichtbaren Teil von uns, der genau diese Möglichkeiten vereint und einen unersetzlichen Einfluss auf unseren Werdegang hat - unsere Handschrift .
Sie ist Ursache und Wirkung zugleich, regt viele Gehirnregionen zur selben Zeit an und gibt uns die Möglichkeit, unser Innerstes nach Außen zu kehren. Das macht die Handschrift zu einem wichtigen Teil unserer Selbsterkenntnis.
In Finnland wurde nun eine Entscheidung getroffen, die nicht nur fatale Folgen für die dort lebenden Schüler haben wird, sondern auch für die Gesellschaft: im nächsten Jahr soll das Erlernen der Handschrift in der Schule abgeschafft werden. Auch die USA und die Schweiz liebäugeln mit dieser Maßnahme.
Stattdessen soll getippt und digital gearbeitet werden - technologischer Fortschritt als Ersatz für Fähigkeiten, die über Jahrhunderte erprobt wurden?
Das wohl kaum, denn gerade die fließenden, ineinander übergehenden Bewegungen sind das, was die Handschrift so unverzichtbar macht.
Das monotone Tippen mit Hilfe einer Tastatur, auf der sich jeder Buchstabe gleich “anfühlt”, kann da nicht mithalten und funktioniert grundlegend anders als die multisensorischen Lerneffekte, die wir beim handschriftlichen Schreiben erzielen.
Nicht nur die späteren Auswirkungen sind von Belang. Handschriftliches Arbeiten erfordert mehr Konzentration, Geduld und tieferes Nachdenken, als getippte Texte es je könnten.
Dadurch wird unser Gehirn beim Schreiben gefordert und somit auch gefördert. Es werden Entwicklungen in Gang gebracht und Neuronen miteinander verknüpft, auf die wir später angewiesen sind.
Die Handschrift ist nicht das alleinige Opfer einer rigorosen Digitalisierung- auch unserem haptisch-physischem Bargeld geht es an den Kragen.
Dabei ist die Verfügbarkeit einer greifbaren Währung heute wichtiger denn je. Undurchsichtige Finanzmärkte, immer höhere Geldbeträge, zunehmend unübersichtliche Angebote - wer all diese Dinge verstehen möchte,
muss sie studieren.
Eine sinnlich erfahrbare Währung macht die abstrakten Zahlen und Ziffern greifbar und gibt uns ein Gespür für das Goldene Kalb, um den sich unser täglicher Gang zum Arbeitsplatz dreht.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass EC- und Kreditkarten uns deutlich lockerer in der Hand sitzen und zum häufigeren Ausgeben verleiten. Schließlich ist die Karte nur ein Stück Plastik und hat keinen Wert, oder?
Anders verhält es sich mit einem Geldschein, der durch seine raue Oberfläche besticht oder mit einer Münze, die nicht nur aus bisweilen kostbaren Materialien besteht, sondern auf die zudem aufwendige Muster geprägt wurden.
Aus Wert wird dann Wertschätzung und Geld verliert seinen abstrakten Charakter. Einen 10€-Schein, den wir ausgegeben haben, besitzen wir nicht mehr. Die Kreditkarte bleibt.
Haptische Codes umgeben uns, immer und überall. Sie haben einen großen, wenn auch häufig unterbewussten Einfluss auf unser Leben.
Reduzieren wir diese Einflüsse auf ein Minimum, so stumpfen wir ab, denn nur Sinne, die gereizt werden, können sich herausbilden.
Nutzen wir den technologischen Fortschritt clever und zu unseren Gunsten, statt uns benutzen zu lassen.
Autorin: Sabine Wegner
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