Nicht nur wir verändern die Technik, sondern die Technik verändert auch uns. So hat sich während der letzten Jahrzehnte kaum eine Tätigkeit drastischer gewandelt als das Schreiben eines Briefes.
War es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nämlich noch absolut üblich, eine Nachricht an die Liebsten handschriftlich zu verfassen, erhielt zeitgleich eine Innovation Einzug, die die nachhaltige Veränderung dieses Verhaltens einläuten sollte – die Schreibmaschine.
Monotone Bewegungen, der mechanische Klang der Typenhebel und das melodische Einrasten der Schreibwalze veränderten den Bezug zur Verschriftlichung unserer Gedanken und externalisierten diesen persönlichen Vorgang, indem sie ihn einer Maschine übertrugen.
Auf neuronaler Ebene bedeutet diese Trennung, dass unser visueller und unser haptischer Sinn voneinander abgekoppelt werden, so dass wir ständig zwischen zwei Sinnen hin- und herspringen müssen. Schreiben wir hingegen mit der Hand, werden visuelle Wahrnehmung und motorische Fähigkeiten miteinander kombiniert.
Der Fortschritt lässt sich nicht bremsen: Auf Schreibmaschinen folgen Computer, auf Computer folgen Handys, Notebooks und Spielekonsolen. Statt etwas zu schreiben, etwas zu malen oder etwas zu bauen, wird nun geschaut, gedrückt und gelenkt. Der Weg von der Aktivität zur Passivität ist geebnet.
Kurze Zeit später erobern auch Smartphones und Tablets unsere
Wohnzimmer und markieren den Beginn einer neuen Ära. Statt Tasten zu drücken und mechanische Widerstände zu spüren, wischen und tippen wir nun nur noch auf Bildschirme und überwinden damit eine weitere Barriere der Auslagerung unserer körperlichen Intelligenz.
Die Benutzung eines Textverarbeitungsprogramms bringt natürlich auch Vorteile mit sich. So erweitert der Computer das Wort-für-Wort-Schreiben um die Möglichkeit, ganze Textblöcke zu verschieben, Überschriften nachträglich einzubauen, Fehler zu korrigieren und Abschnitte zu löschen, sodass die Tätigkeit des Schreibens keine lineare mehr ist, sondern eine modulare.
Diese Schübe technologischer Entwicklung arbeiten sich aber regelrecht in unsere Fähigkeiten ein, prägen uns bis tief in die Psyche hinein und modeln dort unser Verhalten um, ohne dass wir es merken. So drängt sich das Gefühl auf, dass wir unsere Hände nur noch dazu benutzen, das Eigenleben unserer Maschinen zu aktivieren.
Die norwegische Schreib- und Leseforscherin Anne Mangen betrachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Die Verschmelzung mit technischen Hilfsmitteln sorge dafür, dass wir ihre Rolle als Instrumente zur Bildung körperlicher - und daraus resultierend auch geistiger - Fähigkeiten übersehen.
Laut Mangen liegt das daran, dass wir funktionierende motorische Fähigkeiten schlicht nicht wahrnehmen, solange sie nicht beeinträchtigt sind. Sie werden zum Mittel zum Zweck degradiert und damit transparent und kein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit.
Doch in unserem Unterbewusstsein keimt Protest auf. Es überrascht also nicht, dass auf die zunehmende Digitalisierung und die Vermengung unseres Körpers mit digitalen Helfern auch eine ausgeprägte Rückbesinnung auf die eigenen Fingerfertigkeiten folgt.
Ob nun Handarbeiten, Repair Cafés oder haptische ansprechende Produktver-packungen: Wir besinnen uns auf unsere Hände zurück.
Intelligenz ist haptisch. Lassen wir unseren Tastsinn verkümmern, so beschneiden wir unsere eigenen Fähigkeiten. Das hat nicht nur Auswirkungen auf unsere motorische Entwicklung, sondern auch auf unsere geistige. So äußert sich im Schreibverhalten auch die menschliche Verfassung.
Darüber hinaus ermöglicht uns der Einsatz von Maschinen die Ausübung von eigentlich körperlichen Tätigkeiten, die früher mühsam erlernt werden mussten. Die Entkörperlichung unserer Intelligenz droht. In Bezug auf unser Gehirn wird dieses Problem schon lange thematisiert, nämlich dann, wenn das Internet mit seinem jederzeit verfügbaren Wissen ins Spiel kommt.
Warum sollte unser Tastsinn nicht ebenfalls in Gefahr sein, besonders jetzt, da das Internet der Dinge vor der Tür steht? Die bewusste Auseinandersetzung mit unseren motorischen Fähigkeiten kann Abhilfe schaffen.
Wir sollten den Laptop also ab und an bei Seite legen und unserer haptischen Zukunft eine helfende Hand reichen.
Autorin: Sabine Wegner
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