Die Buntstifte sind sortiert, die Wohnzimmerlampe ist eingeschaltet und das Malbuch aufgeschlagen. Was sich zunächst nach Kinderbeschäftigung anhört, hat auch auf ältere Semester eine scheinbar meditative Wirkung. Malbücher für Erwachsene liegen im Trend – so sehr, dass das schwedische Möbelhaus IKEA sogar schon ausmalbare Illustrationen zum Download anbietet.
Kein Wunder, sind es doch gerade die herrlich repetitiven Tätigkeiten, die nachhaltig zu unserer Entspannung beitragen. Malbücher erfordern keine schnellen Reaktionen, keine Bedienungsanleitung, ja, noch nicht einmal besonders viel Hirnschmalz.
Die Tätigkeit des Ausmalens ist selbsterklärend, kann schnell begonnen und wieder abgebrochen werden und ermöglicht sowohl gleichzeitiges Nachdenken, als auch völlige Gedankenfreiheit.
Sich an einen Tisch zu setzen und völlig ziellos Bilder auszumalen, ist heutzutage eine befremdliche Vorstellung. Welchen Nutzen hat das? Wer hat Zeit für so etwas? Wozu macht man das überhaupt? Am Ende des Ausmalens wartet bloß das fertige Bild. Kein Honorar, kein abgeschlossenes Projekt, kein erledigter Haushalt – wer ausmalt, verschwendet Zeit.
Genau hier verbirgt sich aber auch der Reiz an der Ausmalerei: Wer nicht ergebnisorientiert handelt und für einen gewissen Zeitraum weder an Umsätze noch an Kundenanfragen oder den Wocheneinkauf denkt, der verspürt keinen Druck.
Dies führt zu richtiger Entspannung und wahrhaftiger Freizeit, während wir sonst selbst nach der Arbeit geneigt sind, möglichst effizient und ohne Umschweife zu agieren.
Ob es nun die Entführung in unsere Kindheit ist, die herrliche Ruhe oder eine Mischung aus beidem: Malbücher für Erwachsene sind eine analoge Atempause und versetzen uns in eine Zeit, in der es noch nicht das Smartphone war, das unseren Alltag dominierte, und in der unsere Termine noch so weit auseinanderlagen, dass wir in Ruhe zu Mittag essen konnten.
Möglicherweise ist es aber auch das Rascheln des Papiers, das uns Gemütlichkeit und Wohlbehagen empfinden lässt, so wie ein Buchkalender oder ein schönes Notizbuch beim analogen Schreiben.
Die Beschäftigung unserer Sinne ist zu einem kostbaren Gut avanciert, das gepflegt werden möchte. Was könnte da effizienter sein, als sinnliche Zeitverschwendung?
Autor: Richard Kastner
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