Unser größtes Sinnesorgan bietet u.a. rund zwei Quadratmeter Fühlfläche. Die unzähligen Rezeptoren der menschlichen Haut sind in ständigem Kontakt mit der Außenwelt.
Schon in den Follikeln der rund fünf Millionen feinster Körperhärchen siedeln jeweils 50 tastsensible Rezeptoren – ergibt multipliziert 250 Millionen Meldestellen, die in jeder Sekunde Millionen Reize empfangen, die wir fast alle unbewusst verarbeiten.
Eine herausragende Rolle kommt dabei der Hand zu. In ihr stecken 3.5 Mrd. evolutionäre Entwicklungsarbeit. Sie ist unser primäres Instrument, um die Welt zu begreifen, zu handhaben und auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Die Fingerbeeren zählen zu den sensibelsten Körperregionen – in ihrem dichten Geflecht berührungsempfindlicher Tastzellen reagieren u.a. rund 140 Meissner-Körperchen auf Druck.
Die Feinfühligkeit unserer Fingerspitzen übersteigt auch unser plastisches Vorstellungsvermögen. Nach einer aktuellen Studie schwedischer Forscher vom KTH Royal Institute of Technology in Stockholm konnten die Testteilnehmer noch zarteste Rillen im Bereich von 13 Nanometern – entspricht 0,00001 Millimeter – via Vibrationsrückmeldung erfühlen.
Jede Berührung weckt intuitiv haptische Codes. Denn die meisten Reize docken an Erfahrungsmuster an, die wir bereits gesammelt haben, bevor wir ein reflektierendes Bewusstsein unserer selbst entwickeln. Der Grundstock haptischer Codes ist schon mit drei Jahren gelegt. Ob flauschig, stachelig, rau, glatt, biegsam, heiß, kalt – jedes Tasterlebnis wird mit Assoziationen und Emotionen verknüpft in unserem unbewussten Erfahrungsschatz gespeichert.
Nur ein Bruchteil der einströmenden sensorischen Informationen landet im Neocortex, dem jüngsten Bereich unseres Gehirns, in dem u.a. das Reflexionsvermögen sitzt. Doch die an haptische Erlebnisse gekoppelten Codes beeinflussen
uns auch unbewusst. Beispiels-weise das Muster „was Gewicht hat, hat Gewicht“.
Bei einer Versuchsreihe unter der Leitung von Prof. J. M. Ackerman am Massachusetts Institute of Technology (MIT) gab man den Probanden im Sinne einer Undercover-Studie eine Aufgabe, die den eigentlichen Studienzweck verschleierte.
Für den ersten Test bat man die Probanden, die Qualifikation von Jobkandidaten mithilfe ihrer Bewerbungsunterlagen einzuschätzen. Dazu wurde ein haptischer Reiz eingeschmuggelt: Die fingierten Bewerbungen waren auf Klemmbrettern fixiert – eine Gruppe hielt eine leichtere Version in Händen, die andere ein Exemplar mit mehr Gewicht, was sich entsprechend in der Beurteilung niederschlug. Bewerber, die sich zufällig mit mehr Gewicht präsentierten, wurden von allen Studienteilnehmern als kompetenter bewertet.
Die impliziten Codes der Tastsignale spielen eine Schlüsselrolle in unserer alltäglichen Bewertung der Dinge. Für die Übersetzung haptischer Reize in Werbemedien liegen bisher nur vereinzelte Studien vor – beispielsweise die Grundlagen-studie von MetaDesign/different aus 2007, in der analysiert wird, über welche Sinne sich Markenwerte am besten vermitteln lassen.
Taktile Erlebnisse sind demnach besonders geeignet, um Werte wie Lebensfreude, Wohlwollen, Ausgewogenheit, Norm und Sicherheit zu transportieren. Zu den weiteren Qualitäten, die sich mittels Haptik intuitiv übertragen lassen, zählen Macht und Tradition, Naturverbundenheit, Eleganz, Frische und Behaglichkeit.
Bei der Materialwahrnehmung spielt der taktile Sinn die Hauptrolle. Der Griff muss halten, was das Auge verspricht. Schon die Wahl der Papiersorte ist entscheidend.
Der heutige Markt bietet Hunderte Papierarten mit Dutzenden von Qualitätsstufen. Entsprechend vielseitig sind die Möglichkeiten,
über haptische Reize intuitiv zu kommunizieren. Schon Grammatur und Struktur bzw. Fasereigen-schaften, die u.a. Dicke, Flexibilität, Reißfestigkeit bestimmen, rufen beim Empfänger Imagefaktoren wach.
Für ihre Masterarbeit „corporate haptic“ (2010) führte Liesa Maier eine Papier-Taststudie durch. Einige der Testergebnisse:
* Normalpapier wurde mit „vertraut, gewöhnlich, einfach, freundlich, stark und alt“ assoziiert.
* Scheufelen bewerteten die Probanden als „technisch, vertraut, innovativ, schön, edel, exklusiv, freundlich, teuer, modern, stark und jung“.
* Rautenpapier wurde als „technisch, fremd, innovativ, schön, freundlich, exklusiv, edel, teuer und stark“ beschrieben.
So kann jedes Blatt Papier symbolisch Produktqualitäten und Unternehmenswerte übertragen. Durch individuelle Gestaltung und Veredelungstechniken wird die haptische Wirkung noch gesteigert.
Die Designmöglichkeiten für Werbekalender und andere Print-Werbemedien sind vielseitig: Pergament, Folien, Rubbelflächen, integrierte Glanzstücke, raue oder samtige Fühlflächen, Aufreiß- und Auffaltmechaniken, Glanz- und Mattlack, Blindprägung bis hin zu Thermosensibilität und Duftapplikationen.
Sie alle verbinden codierte Fühlerlebnisse mit außergewöhnlichen Blickfängen. Welche Botschaft möchten Sie Ihren Kunden in die Hände spielen?
Quellen:
Maier, Liesa: „corporate haptic” – Wert, Entwicklung und Einsatz haptischer Kommunikationskonzepte. Masterarbeit. Grin – Verlag für akademische Texte, München 2010.
„5-Sense-Branding – Multisensorische Markenführung“. Studie von MetaDesign/diffferent, Berlin 2007.
Autor: Sabine Wegner
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