Ob in der U-Bahn, unter dem Schülerpult oder als Feuerzeugersatz auf dem Popkonzert: Smartphones sind unsere ständigen Wegbegleiter. Das Telefonieren selbst ist längst zum Ad-on geworden.
Die Mobile Devices sind zum Tausendsassa avanciert: E-Mails checken, Fotografieren, Videos machen, Posten, Liken, Online-Shoppen oder mechanisch durch unsere Newsfeeds scrollen. Was wir übersehen: Was uns urprünglich eine Hilfe sein sollte, hat von uns Besitz ergriffen.
Wer ertappt sich nicht immer wieder dabei, automatisch nach dem Smartphone zu greifen, auch ohne die Aufforderung durch Klingeltöne oder sonstige akustische Signale? Schließlich versprechen all die Likes und netten Nachrichten der Freunde den kurzfristigen Kick.
Wir fühlen uns sozial bestätigt, bleiben auf dem Laufenden, teilen vielleicht ein Foto von den Schuhen, die wir gerade gekauft haben, ein Selfie aus dem Stadion. Ständig auf Sendung, ständig auf Empfang – was auf der Strecke bleibt, ist das simple Abschalten.
Bert te Wildt, Leiter der Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bochum, geht sogar noch einen Schritt weiter und attestiert den Handyscreens Suchtpotential. Unsere digitalen Zweit-Ichs aktivieren in unseren Gehirnen die gleichen Stoffwechselvorgänge aktivieren wie Drogen bei Abhängigen.
Die ständige Kommunikation mit Freunden oder Arbeitskollegen über soziale Netzwerke scheine
dabei das größte Suchtpotential auszumachen. „Denn dort erhalten wir Aufmerksamkeit und Anerkennung“, konstatiert der Experte im Spiegel-Interview.
Auf den ersten Blick einleuchtend, ist seine Meinung mangels ausreichender Studien noch stark umstritten. Sucht ist eine anerkannte Krankheit, „Handysucht“ hat es aber noch nicht zur diagnostischen Reife geschafft.
Dennoch konstatieren existierende Studien wiederholt besonders innerhalb der "Generation iPhone" Suchtsymptome. Unkontrollierte Smartphone-Nutzung aber gehe zulasten der geistigen Leistungsfähigkeit. Das digitale Zweit-Ich versetze seine Nutzer mittelfristig in einen Zustand der Unproduktivität und des Unglücklichseins.
Wohl kaum eine andere technische Innovation hat unser Leben einem so grundlegenden Wandel unterzogen wie das iPhone und seine Artverwandten– und das im Eiltempo. Vorgestellt im Jahre 2007, haben uns iPhone und Epigonen innerhalb einer Dekade in eine neue Einsamkeit geführt, attraktiv verpackt als Social Life: always on.
Inhaltliche Leere, digitale Kälte, verstörend-entseelte Monaden: solcherart sind die non-verbalen Botschaften, die den Betrachter der Bilder des Fotografen Eric Pickersgill erfassen. In seinem Werk „Removed“ hat der US-amerikanische Künstler Menschen vor die Kamera geholt, die ihr Smartphone in Alltagssituationen und Gegenwart ihrer Partner,
Familienangehörigen oder Freunde benutzen.
Dabei gelingt es Pickersgill durch einen einfachen analogen, gestalterischen Schachzug, die soziale Anschlusslosigkeit unseres digitalen Klons visuell greifbar werden zu lassen. Die Kamera-Akteure wurden samt ihrer Mobile Devices beim aktiven Digitalkonsum in Szene gesetzt.
Dann wurde jedes Mobilgerät „removed“, entfernt, die Szenerien ansonsten unverändert belassen: eine Welt ohne Smartphones und menschliche Anbindung. Die digitale Einsamkeit im Social Life. Kein Anschluss mehr unter dieser Nummer.
Der Informationskick im Sekundentakt ist unbeherrschbar geworden. Wir ahnen: Die Dynamik der digitalen Welt besitzt eine Schnittstelle zu unseren Burnoutwelten. Wir haben das Abschweifen verlernt, wissen nicht mehr, wie man innehält.
Für die einen ist es die digitale Revolution, für die anderen der Alptraum einer ganzen Generation. Alexander Markowetz spricht von einem „digitalen Burnout“ und empfiehlt als Therapie eine „digitale Diät“: Dreimal am Tag Mails checken, einmal am Tag Facebook – der Rückweg in eine analoge, soziale Realität, kompatibel mit der digitalen Existenz.
Unser Gehirn ist auf solche eingestreuten digitalen Auszeiten und Ruheinseln angewiesen: „Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, ständig on zu sein.“
Autor: Richard Kastner
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